Ich, mein Brustkrebs und meine Psyche

Ich bin Alex, 42 Jahre, verheiratet und habe 2 Kinder im Alter von 7 und 9 Jahren.

Meinen Knoten in der Brust habe ich vor 10 Jahren beim Duschen getastet. Die Untersuchung ergab damals ein Fibroadenom. Gutartig, deshalb nicht zu entfernen. Mein Knoten und ich haben uns im Laufe der Jahre arrangiert, die Panik, die sich in mir aufgetan hat, bis das Untersuchungsergebnis Entwarnung gab, habe ich mittlerweile verdrängt. Aber seitdem hatte ich Angst vor Brustkrebs. Weshalb, weiß ich nicht, ich habe keine familiäre Vorbelastung.

Vor der letzten Vorsorgeuntersuchung habe ich gemerkt, dass mein Knoten gewachsen ist. Das ist nicht ungewöhnlich, Fibroadenome können auf hormonelle Schwankungen reagieren. Auch meine Frauenärztin war positiv gestimmt. Es ist unwahrscheinlich, dass Fibroadenome umschlagen und schließlich sei ich statistisch gesehen zu jung für Brustkrebs. Dennoch bestand sie auf einer erneuten gründlichen Untersuchung mit Mammographie und Biopsie. Damals wehrte ich mich dagegen, sollte der Knoten doch wegen seiner nun erreichten Größe eh entfernt werden. Heute bin ich ihr für ihre Hartnäckigkeit sehr dankbar, da der Krebs, der sich übrigens direkt hinter dem Fibroadenom versteckt hatte und sich weder im Ultraschall noch in der Mammografie zeigte, so frühzeitig entdeckt wurde.

Der Anruf von der Frauenarztpraxis nach der Biopsie zu Vereinbarung eines Gesprächstermines erwischte mich eiskalt auf der Arbeit. Bereits in dieser Sekunde weiß man eigentlich genau Bescheid, und doch geht ein Fünkchen Hoffnung mit in dieses Gespräch. Pustekuchen. Während sie mir von medizinischen Ergebnissen, Behandlungsmöglichkeiten, Prognosen und Statistiken erzählte, starrte ich -freundlich lächelnd und kopfnickend- durch sie durch. Innerhalb einer Sekunde war mein bisheriges Leben vorbei. Ich war rausgerissen aus dem Alltag, meiner Arbeit, dem unbeschwerten Leben, das man trotz aller vermeintlicher Probleme doch eigentlich hatte.

Danach ging alles ganz schnell und dauerte doch unendlich lang.

Es setzte sich eine faszinierende Maschinerie aus Tumorkonferenz, möglichst zeitnahen Untersuchungsterminen und OP-Vorbereitung in Gang. Und trotz aller emotionaler Unterstützung durch Familie und Freunde war ich gefangen in meinem Kopf, allein mit mir und meinen kreisenden Gedanken. Ich hatte das Gefühl, alles zieht wie in einem Zeitraffer an mir vorbei, aber das Warten auf meine OP, gefolgt vom Warten auf Laborergebnisse, dann auf den Beginn der Chemo, zog sich quälend lange hin.

Auf den Verlust meiner Haare durch die Chemo habe ich mich emotional vorbereitet. Ich wollte selbst bestimmen, wann ich keine Haare mehr haben werde. Während ich beim ersten Schritt, dem Kürzen meiner Haare auf Schulterlänge noch bitterlich weinen musste, war das spätere Abrasieren nach Einsetzen des Haarausfalles überhaupt nicht schlimm für mich. Dennoch merkte ich, als ich tatsächlich keine Haare mehr hatte, dass ich mich weigerte in den Spiegel zu sehen.

Heute, nach der Hälfte der Chemobehandlungen wachsen meine Haare schon wieder und ich kann gar nicht oft genug in den Spiegel sehen, um die kurzen, dünnen aber gleichmäßigen Stoppeln zu bewundern.

Mittlerweile, ein halbes Jahr nach der Diagnose, ist bei uns der Alltag wieder eingezogen. Mein Mann geht arbeiten, meine Kinder zur Schule und für mich verfliegt die Zeit. Ich verabrede mich viel, räume Schränke auf, die ich schon lange aufräumen wollte, habe mir eine Aufgabe von Arbeit geholt und gehe zu meinen Behandlungen.

Wir alle haben die Krankheit angenommen und in unser Leben eingebettet. Habe ich jedoch zu viel Freizeit, meldet sich meine Psyche sofort und versucht mich runter zu ziehen. Aber das lasse ich bewusst nicht zu, ich mag meine Zeit nicht mit Traurigkeit verschwenden.

Das schlimmste an der Krankheit ist für mich nicht die Krankheit selbst.  Ich fühlte und fühle mich körperlich und geistig fit.

Aber die Achterbahnfahrt der Gefühle, die ich seit der Diagnose mitmache, hinterlässt ihre Spuren. Auf Höhen folgen Tiefen, auf Trauer über die Tragweite der Diagnose folgt Zufriedenheit über mein bisheriges Leben. Wut, dass es mich erwischt hat wird abgelöst von Ehrgeiz, das Jahr nach der Diagnose mit allen Behandlungen zielbewusst zu meistern. Angst über eine ungewisse Zukunft wird verdrängt von Wünschen, die man schon immer hatte oder die neu hinzugekommen sind.

Ich bin dankbar für die Hilfsangebote, die es gibt. Sei es die Selbsthilfegruppe, bei der ich zwar eher inaktives Mitglied bin, die mich aber allein durch das Wissen stärkt, dass ich dort bei anderen Betroffenen jederzeit ein offenes Ohr finde. Oder die psychoonkologische Beratung, deren Inanspruchnahme meiner Meinung nach kein Zeichen von Schwäche ist. Mir hat es enorm geholfen mich ausheulen zu können, ohne denken zu müssen, dass ich mein Gegenüber damit belaste.

Ich kann nur jeder Betroffenen und auch den Angehörigen, deren Ohnmachtsgefühl und emotionales Leiden oft vergessen wird, raten solche Hilfsangebote in Anspruch zu nehmen.

Letztendlich habe ich durch die Krankheit, also während der Therapie einige tolle, interessante, lustige, starke, selbstbewusste und liebenswürdige Frauen kennen gelernt, die ich ohne meine Krankheit nicht kennen gelernt hätte. Ich wünsche Ihnen für Ihre Zukunft das Allerbeste.