Freundschaft und Brustkrebs // Ein Erfahrungsbericht

13. Juli 2019.

Ich erlebte gerade eine recht unbeschwerte Zeit. Es waren Sommerferien und ich war mit meinem Mann und meinem vierjährigen Sohn in Norwegen unterwegs. Es war ein erholsamer, warmer Tag und meine einzige „Sorge“ war, dass ich seit 48 Stunden wieder ein Jahr älter war. So beginnen doch die meisten Tage, an denen schlimme Sachen geschehen, oder? Man ahnt nichts Böses, wiegt sich in Sicherheit und dann – zack – passiert es.

Die schlechte Nachricht hat nur darauf gewartet, den Moment zu zerstören. In dem Fall kam sie als Text in meinem Messenger von meiner sehr guten Freundin Julia. Sie ist an Brustkrebs erkrankt. Das hatte ich schon befürchtet, aber irgendwie beiseite geschoben. Doch nun war es sicher und auch für mich wurde das Problem jetzt plötzlich real.

Ich war geschockt und begann prompt zu heulen. Wie jetzt Brustkrebs? Bekommt man so was nicht erst in den Vierzigern? Sind wir schon so alt, dass wir Brustkrebs kriegen oder was? Und überhaupt, warum denn Julia schon wieder? Hat sie nicht schon genug durchgemacht? Was ist, wenn sie jetzt stirbt? Wie sieht ein Leben ohne sie aus? Treffe ich dann alle unsere Freunde zu ihrer Beerdigung? Laufen wir dann immer zusammen zu ihrem Grab und legen ihr irgendwelche Gestecke drauf, erzählen dann was über sie und ich krieg mich nicht mehr darüber ein, wie beschissen ungerecht das Leben ist?

Als typische Schwarzseherin plane ich gedanklich schon ihre Beerdigung, verfasse Trauerreden und erinnere mich an ihre Lieblingsmusik.

Wie soll ich jetzt reagieren? Wenn ich mir Sorgen mache und ihr heulend eine Nachricht schicke oder anrufe, dann merkt sie ja, dass ich traurig bin und hoffnungslos. Dann fühlt sie sich gar verantwortlich und hat noch mehr Sorgen. Stecke ich sie dann noch zusätzlich mit meinen Sorgen an? Wird sie dann noch trauriger? Soll ich ihr gut zureden? Soll ich ihr sagen, dass schon alles gut wird? Das kann ich nicht, ich kenn mich schließlich null mit Brustkrebs aus.

Tja, scheiße. Mehr fällt mir dazu spontan auch nicht ein.

Ich lasse mir alles erklären, sage ihr wie leid es mir tut und später auch, dass ich geheult hab. Ehrlich ist immer noch am besten. Tatsächlich macht sie MIR jetzt Hoffnung und klärt mich auf. Das läuft doch voll verkehrt.

Was kann ich also tun? Na ja, nicht so viel. Ich denke noch öfter an sie und erkundige mich mehr nach ihrem Befinden als sonst. Natürlich kann sie sich immer bei mir melden und auf mich zählen.

Ich muss daran denken, dass auch meine Mama eine sehr gute Freundin an Krebs verloren hat, dass diese Frau einen Mann und einen Sohn hatte und eine herzensgute Frau war, dass sie am Ende schrecklich gelitten hat. Ich mag das nicht bei meiner Freundin erleben müssen.

Gleichzeitig bin ich – auch wenn es sehr unsensibel klingt – erleichtert, dass ich mich nicht selbst mit solchen Problemen rumschlagen muss. Dieses Themengebiet ist so groß und erschlägt mich geradezu.

Mir ist bewusst, dass das Leben wie ich es gerade lebe, ganz plötzlich vorbei sein kann. Darum ist es auch so wichtig, dankbar für die eigene Gesundheit zu sein. Leider wird Gesundheit oft erst dann geschätzt, wenn es einem schlecht geht. Ich selbst habe über die Jahre auch ohne Krankheit schätzen gelernt, wie wichtig ein gesunder Körper ist, und dass man auf sich achtgeben sollte. Durch Julias „Tante Agnes“, wie sie die Krankheit nennt, fühle ich mich also nur wieder darin bestärkt, mein Leben so weiterzuleben, wie ich es bisher getan habe: Ruhezeiten nehmen, sinnhafte Arbeit verrichten, die mich nicht beutelt, mich nicht ausnutzen lassen, nicht jedem gefallen.

Was ich damit sagen möchte, auch wenn es abgedroschen klingen mag: Lebe nicht, um zu arbeiten. Es kann so schnell vorbei sein. Genieße die Zeit jetzt. Warte mit Veränderungen nicht auf irgendwann, wenn Zeitpunkt vermeintlich günstiger wird. Der Zeitpunkt wird nicht günstiger. Lebe so, dass du dich am Ende nicht nach etwas sehnen musst, was du nicht erreicht hast. Lebe so, dass du am Ende sagen kannst: Das hab ich gut gemacht. Jeder Zeit wieder so.

Man kann alles richtig machen und am Ende doch Krebs kriegen.

Ein Restrisiko ist eben immer noch da. Zum Glück kommt Brustkrebs heute nicht mehr einem Todesurteil gleich. Es gibt viele Möglichkeiten der Behandlung. Es wird unglaublich viel dazu geforscht. Trotzdem ist es eine schwere Krankheit, die man nicht leichtfertig abtun sollte. Es sterben Menschen daran und mit den Medikamenten, den Arztterminen, der Unsicherheit, wieder daran zu erkranken (selbst nach erfolgreicher Therapie) muss man erst mal leben lernen.

Julia ist eine starke Frau und ich liebe ihre Verwandlung seit ihrer Diagnose. Ihr ist bewusster geworden, dass ihr Leben wertvoll ist, dass ihre eigenen Träume, ihre Gesundheit und ihr Weg zu leben wichtiger sind, als anderen Menschen zu gefallen und in solche sinnlos Energie zu versenken. Sie konzentriert sich jetzt darauf, ihr Leben zu leben und eigene Richtlinien dafür aufzustellen. Und ich hoffe für sie, dass sie sich nicht verleiten lässt, etwas zu tun, was ihrer Gesundheit schaden würde. Ich wünsche ihr, dass sie tun kann, wofür sie brennt. Ich habe das Gefühl, unsere Freundschaft ist durch den Krebs wieder intensiver geworden, denn ich weiß, was ich an ihr habe und dass unsere Freundschaft wertvoll ist.